Kleine Geschichte des Coworking-Phänomens

Mit insgesamt drei Coworking-Spaces bietet Chemnitz inzwischen Kleinselbstständigen, Start-Up Unternehmen sowie Angestellten, die bislang im Home Office arbeiten, zahlreiche Möglichkeiten, diese relativ neue Form der Arbeitsstätte kennenzulernen und zu nutzen. Der folgende Beitrag zeigt, wie sich das Konzept Anfang des 21. Jahrhunderts entwickelt hat, wie es den Versuch unternommen hat, den Ansprüchen an Arbeitsplätze innerhalb der neuen Arbeitswelt gerecht zu werden.

Ende der 90er Jahre wurden Dozenten und Studierende des MIT-Massachusetts Institute of Technology innerhalb einer Studie zum Thema arbeitsorganisatorischer Entwicklungen dazu angehalten, Zukunftsprognosen für den Wandel der Arbeitswelt für das Jahr 2010 abzugeben. Die Forscher skizzierten ein Bild zukünftiger Arbeitsorganisation, in welchem typische Unternehmerstrukturen mit festen betrieblichen Hierarchien des 20. Jahrhunderts kaum mehr vorzufinden sind (van Haaren 1997: 13). Dahingegen prognostizierten sie eine Unternehmenslandschaft, in welcher die Vorherrschaft überwiegend Freiberuflern, Selbstständigen sowie kleinen Firmen zugeschrieben wird, die innerhalb befristeter zeitlicher Rahmen miteinander kooperieren. Für diese Art der Zusammenarbeit werden flexibel arrangierte Teams von freien Vertragspartnern und Arbeitnehmern beschrieben, welche innerhalb von projektförmigem Arbeiten einzelne Aufträge gemeinsam bewältigen. Nach Beendigung der Aufträge trennen sich diese Gruppen, um neuen Projekten beizutreten (Deckstein 1997: 4).

Wenngleich sich diese Szenarien der heutigen Arbeitswelt nicht in ihren Extremen bewahrheitet haben, so arbeiten bis heute laut Schätzungen der Bertelsmann Stiftung rund 40 % der deutschen Bevölkerung noch in unbefristeten Vollzeitverträgen (Eichhorst et al. 2010: 12 f.) – beinhalten die Prognosen jedoch wichtige Hinweise auf zukünftige Entwicklungen, die sich bereits in der heutigen Organisation von Erwerbsarbeit finden lassen. Neben flexiblen Arbeitsverhältnissen in projekt- und teamförmigen Strukturen sind Trends des Outsourcings von Angestellten sowie der Einsatz freier Mitarbeiter in zunehmend stärkerem Ausmaß zu finden. Im Hinblick auf prägnante Entwicklungen der Arbeitsorganisation im Postfordismus verweist van Haaren bereits im Jahr 1997 neben Einflüssen von Globalisierungs- und Rationalisierungstendenzen auf die zunehmende Flexibilisierung der Erwerbsarbeit bis hin zur Erosion der Normalarbeitsverhältnisse. Im Gegensatz zu Arbeitsstrukturen des Fordismus besteht damit nicht länger nur ein einziges Modell von Erwerbsarbeit, sondern eine Vielzahl an Möglichkeiten der Arbeitsorganisation. Des Weiteren bezieht sich van Haaren auf eine steigende, sowohl räumlich als auch soziale Zersplitterung von Arbeitsverhältnissen. Infolge der zunehmend stärkeren Nutzung von Informations- und Kommunikationsmitteln ist durch diese Zersplitterung eine räumliche Kopräsenz von Arbeitgeber und Mitarbeitern häufig nicht mehr notwendig (van Haaren 1997: 14).

Eichmann und Hermann bezeichnen diese Entgrenzung räumlicher Dimensionen von Arbeit als Abbau territorialer sowie zeitlicher Begrenzungen von Arbeitsverhältnissen. Beispielhaft dafür ist das Outsourcing betrieblicher Teilbereiche bis hin zum zeitlich begrenzten Einsatz externer, freier Mitarbeiter zu nennen. Verbunden mit den Anforderungen an zeitliche wie räumliche Mobilität und Flexibilität betrieblicher sowie außerbetrieblicher Arbeitsorganisation gewinnen neue Beschäftigungsformen, wie die der Telearbeiter, Freelancer sowie Solo-Selbstständigen zunehmend verstärkt an Bedeutung (Eichmann/ Hermann 2004: 23).

In diesem Zusammenhang betont eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2012 die erhebliche Zunahme von Mikroselbstständigen innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte, welche ohne eigene Beschäftigte häufig als freie Mitarbeiter projektförmig in größeren Betrieben nach Aufträgen arbeiten. Des Weiteren verweist die Studie auf eine erhöhte Sprunghaftigkeit der Erwerbsbiografien, das heißt häufige Wechsel zwischen selbstständigen sowie abhängigen Beschäftigungsverhältnissen stellen keine Seltenheit dar. Diese Destandardisierung ehemals fester beruflicher Kategorien führt zu einer erheblichen Vielfalt möglicher Formen von Arbeitsorganisation – sei es die Arbeit im Home Office, in Großraumbüros oder klassischen Bürostrukturen (Bögenhold/ Fachinger 2012: 6).

Mit der steigenden Differenzierung an arbeitsorganisatorischen Modellen ändern sich zudem die Bedürfnisse der Erwerbstätigen an ihren Arbeitsplatz. So kontrastiert Deckstein bereits im Jahr 1997 folgende Entwicklung der heutigen Arbeitswelt: „Die Arbeit in der Wissens- und Informationsgesellschaft wird nicht verschwinden, verschwinden wird aber der klassische Ort, an dem sie geleistet wurde, der Arbeitsplatz“ (Deckstein 1997: 4) und stellt mit der Erosion der klassischen Normalbeschäftigung zugleich eine Erosion des klassischen Arbeitsplatzes fest. In überwiegender Form existiert dieser Arbeitsplatz auch heute noch, jedoch wurde er durch eine Vielzahl an möglichen weiteren Arbeitsformen ergänzt. Einhergehend mit dem zahlenmäßigen Anstieg der ‚neuen Selbstständigen‘, einem Zuwachs von Selbständigen im Bereich der Medien- und Informationstechnologie seit den 90er Jahren, haben sich so neue Formen der Arbeitsplatzgestaltung etabliert. Durch die Auslagerung von Arbeitsplätzen in die privaten Wohnbereiche von Mitarbeitern, arbeitet eine Vielzahl an Kleinselbstständigen und Start-Up Unternehmen zunächst in Home Offices und Coffee-Shops oder lagert ihre Tätigkeiten in Business Center aus (Köhler 2007: 177).

Die Vorzüge, die vorerst mit der freien Wahl des Arbeitsplatzes nach persönlichen Vorlieben assoziiert werden, sind in der Realität jedoch häufig eingeschränkt. Anfangs vermeintlich geeignete Arbeitsorte, wie Business Center, erweisen sich insbesondere für Berufseinsteiger mit unstetiger Auftragslage als zu kostenintensiv. Home Offices bieten wenige Gelegenheiten berufliche Netzwerke aufzubauen, zudem besteht hier in besonderem Maß die Gefahr sozialer Vereinsamung oder des Verschwimmens der Grenzen zwischen Privatleben und Erwerbsphäre. Da eine Regulation der Entgrenzung durch feste Arbeitszeiten fehlt, kann es problematisch werden, einen für sich passenden und effektiven Arbeitsrhythmus zu finden. Auch Caféhäuser bieten aufgrund mangelnder ruhiger Arbeitsatmosphäre, fehlender bürotechnischer Infrastruktur sowie strikter Öffnungszeiten für viele auf Dauer keinen geeigneten Arbeitsplatz (Pohler 2011a: 14).

Als Versuch, den Ansprüchen an Arbeitsplätze innerhalb der neuen Arbeitswelt gerecht zu werden, entwickelte Brad Neuberg im Jahr 2005 das Arbeitskonzept des CoWorking. Durch die zunehmenden Anforderungen durch Flexibilisierung und Entgrenzung von Erwerbsarbeit an die Beschäftigten bieten CoWorking Spaces – die Orte, an denen die neue Form der Arbeitsorganisation ausgeübt wird, keine Arbeitsorte im klassischen Sinn (Jackson 2013: 32). In CoWorking Spaces können Arbeitsbereiche in häufig großraumbüroähnlichen Strukturen angemietet werden. Die Nutzungsdauer der CoWorking Angebote liegt dabei innerhalb eines zeitlich flexiblen Rahmens, sodass CoWorker zwischen stunden-, tage- oder wochenweise bis hin zu dauerhafter Einmietung wählen können (Pohler 2011a: 16). Dabei werden neben einfachen Arbeitsplätzen, ausgestattet mit Schreibtischen, Stühlen und Rollcontainern, die für den Arbeitsprozess notwendige Grundausstattung an technischer Infrastruktur, wie Internetzugang, Scanner oder Drucker bereitgestellt. Des Weiteren beinhalten CoWorking Spaces typischerweise Besprechungs- und Rückzugsmöglichkeiten, wie etwa Konferenzräume oder Kaffee- und Tee-Küchen, die den Austausch zwischen CoWorkern fördern sollen (Pohler 2012: 66). Darüber hinaus sorgt eine interne Koordinierung durch die Gründer bzw. Betreiber der CoWorks dafür, dass neue CoWorker in bestehende Gruppen eingeführt werden (Pohler 2011a: 16). Schlussendlich haben CoWorking Spaces damit zum einen den Anspruch, auf zeitliche sowie räumliche Flexibilität neuer Erwerbsstrukturen einzugehen sowie zum anderen die Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Kollaboration und Sicherheit zu befriedigen, um Isolation und Vereinsamung im Arbeitsprozess zu vermeiden (Pohler 2012: 66 f.).

Neben dem ökonomischen Vorteil der Kosteneinsparung, insbesondere für Berufseinsteiger und Start-Up Unternehmen, werden vor allem die positiven Effekte, die aus der Zusammenarbeit mit anderen entstehen, in Verknüpfung mit CoWorking genannt. Dazu zählen die Förderung beruflicher Etablierung, wechselseitiges Lernen und das Profitieren von Synergie-Effekten innerhalb gemeinsamen oder parallelen Arbeitens (Merkel/ Oppen 2013: 5).

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